Inez Weski: Rätsel um die niederländische Star-Anwältin (2024)

Inez Weski gilt als prominenteste Strafverteidigerin der Niederlande. Zu ihren Mandanten gehörte der inhaftierte Drogenboss Ridouan Taghi. Nun wird ihr vorgeworfen, Anweisungen Taghis nach aussen geschmuggelt zu haben und Teil seines Netzwerkes zu sein.

Daniel Steinvorth, Brüssel

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Inez Weski ist keine Frau, die sich mit kleinen Fischen begnügt. Die bekannteste Strafverteidigerin der Niederlande erklärte vor Jahren, nur noch grosse und komplexe Fälle anzunehmen. Fälle, in denen Leute vor Gericht stehen, die wegen Kriegsverbrechen, Drogenhandel und Auftragsmorden angeklagt sind. Fälle, die die Öffentlichkeit bewegen.

Ist einer der grossen Fische ihr zum Verhängnis geworden? Am vergangenen Freitag erhielt die 68-jährige Besuch von der Polizei. Ihr Haus und ihr Büro in Rotterdam wurden durchsucht. Ein Untersuchungsrichter ordnete an, dass Weski für mindestens zwei Wochen hinter Gittern sitzen muss.

Entschlüsselte Nachrichten

Der ungeheure Vorwurf: Die Star-Anwältin soll an einer kriminellen Vereinigung beteiligt sein, «die im internationalen Drogenhandel und in der Geldwäsche tätig ist». Zudem soll Weski, wie die Staatsanwaltschaft mitteilte, «Nachrichten der kriminellen Organisation an und von ihrem inhaftierten Mandanten weitergegeben» haben. Geheimnisverrat nennen das die Juristen.

Bei dem Mandanten handelt es sich um niemand Geringeren als Ridouan Taghi, Kopf eines global agierenden Kokainschmuggler-Netzwerkes, Codename: «Angel of death». Seit 2021 müssen sich der gebürtige Marokkaner und mehrere seiner Komplizen im sogenannten Marengo-Prozess dafür verantworten, diverse Morde und Mordversuche begangen zu haben.

Weski übernahm die Verteidigung Taghis, noch bevor dieser im Dezember 2019 in seiner Luxusvilla in Dubai verhaftet wurde. Der ehemals meistgesuchte Verbrecher der Niederlande sitzt seither in einem Hochsicherheitsgefängnis in Vught. Doch weniger bedrohlich wurde die Lage im Land damit nicht, im Gegenteil: Anschlagsversuche und Einschüchterungen von Staatsanwälten, Richtern, Journalisten und Politikern nahmen nach 2019 sogar zu.

Im Juli 2021 starb der renommierte Investigativreporter Peter R.de Vries an den Folgen eines Attentats. Er hatte im Marengo-Prozess den Kronzeugen Nabil B. beraten. Zwei Jahre zuvor wurde auch der Anwalt des Kronzeugen erschossen. Im September 2021 kolportierten Sicherheitskreise, dass es die «Mocro-Mafia» auf den niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte abgesehen habe. Ein Jahr später war von einer geplanten Entführung der Kronprinzessin Amalia die Rede.

Taghi erklärte über seine Verteidigerin Weski stets, mit all den Morden und Drohungen nichts zu tun zu haben. Zugleich erfuhren Ermittler, dass Angehörige des Drogenbosses für seine Befreiung eine zweistellige Millionensumme ausgesetzt hatten. Überhaupt zweifelte niemand daran, dass der 45-Jährige auch aus seiner Gefängniszelle heraus Anweisungen geben und die Geschäfte am Laufen halten konnte. Nur wer fungierte als Taghis Laufbursche?

Youssef Taghi, ein ehemaliges Mitglied im Anwaltsteam und ein Cousin des Angeklagten, tat dies auf alle Fälle. Ende Januar verurteilte ihn das Gericht zu einer Freiheitsstrafe von fünfeinhalb Jahren, nachdem er nachweislich Botschaften für seinen Verwandten transportiert und einen Ausbruchsversuch mitgeplant hatte. Er war aber offensichtlich nicht der Einzige.

Bereits im Verfahren gegen Youssef Taghi deutete dessen Anwalt im September 2022 an, dass es noch eine weitere Kommunikationslinie geben müsse; schliesslich habe Ridouan Taghi der Aussenwelt schon lange vor dem ersten Besuch seines Cousins Botschaften zukommen lassen. Der Verdacht fiel auf Weski. Doch diese wies die Anschuldigungen empört zurück.

Inzwischen ist klar: Die Ermittler wussten zu diesem Zeitpunkt, dass Weski beispielsweise im Juni 2020 ihrem Mandaten einen sicheren USB-Stick überbracht hatte. Familienmitglieder Taghis hatten sich über den verschlüsselten Messenger-Dienst Sky ECC genau darüber unterhalten. «Wenn sie es am Freitag bringt, wäre das grossartig», heisst es in einer der abgefangenen Nachrichten.

2021 hatten europäische Ermittler das Sky-ECC-System knacken können, mit dem Drogenhändler über Jahre ihre Geschäfte abwickelten. Das galt im Kampf gegen die organisierte Kriminalität als Durchbruch. Bemerkenswerterweise hatte Weski zwei Jahre zuvor einen Prozess, der auf abgehörten Chatnachrichten basiert, als «nicht fair» bezeichnet.

«Gothic-Anwältin» in Gefahr?

Wie es im Marengo-Prozess nun weitergeht, ist ungewiss. Ein Urteil im grössten Strafprozess in der Geschichte der Niederlande war für Oktober erwartet worden. Die Staatsanwaltschaft forderte im vergangenen Jahr eine lebenslange Freiheitsstrafe für Taghi, während seine Verteidiger auf Freispruch plädierten. Doch nach ihrer Verhaftung hat die Leiterin seines Anwaltsteams auch ihr Mandat niedergelegt, und es ist völlig unklar, wer Weski ersetzt.

Justizkreise reagieren schockiert auf die Festnahme. Denn Weski, die ihren Beruf seit vier Jahrzehnten ausübt und häufig in Talkshows sitzt, gilt als streitbar, aber unbestechlich. In der Öffentlichkeit erlangte sie fast Kultstatus, wozu ihr schillerndes Äusseres sicher beigetragen haben dürfte: Stets trägt die Besitzerin eines schwarzen Porsche schwarze Kleidung, viel dunkle Schminke um die Augen und einen Totenkopf-Ring am Finger. Als «Gothic-Anwältin» wurde sie einmal von der Presse bezeichnet. «Pitbull in Robe» lautet ein anderer Spitzname.

Es ist denkbar, dass Weski eine Grenze überschritt, weil ihre Familie bedroht wurde und sie nicht anders konnte. Womöglich wurde die Strafverteidigerin auch zu ihrer eigenen Sicherheit aus dem Verkehr gezogen. Dass Weski aber einen Gelegenheitsjob für Taghi übernahm, weil dieser ihr Geld oder etwas anderes bot, schliessen Beobachter aus. Die Risiken von kriminellen Handlungen dürfte schliesslich niemand besser kennen als sie.

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